Erbausschlagung aufgrund Fehlvorstellung: OLG Frankfurt erkennt Anfechtung wegen irrtümlich angenommener Überschuldung der Erbschaft an

9.10.2024
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Rechtsanwalt István Cocron

Berlin, den 09.10.2024

Auch wenn ein Erbe nicht sämtliche verfügbaren und zumutbaren Informationsquellen über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt hat und die Erbschaft wegen einer vermeintlichen Überschuldung ausschlägt, kann er diese Entscheidung später anfechten. Ein Erbe ist nach einer aktuellen Entscheidung des OLG Frankfurt grundsätzlich nicht verpflichtet, vor der Ausschlagung eine umfassende Prüfung des Nachlasses vorzunehmen. Das Oberlandesgericht hat in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss entschieden, dass die Voraussetzungen zur Erteilung des Erbscheins an die Beschwerdeführerin aufgrund der wirksamen Anfechtung der Ausschlagung damit erfüllt sind.

Zum Sachverhalt

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte die Tochter, die Erbschaft zunächst aufgrund der Annahme, die Erbschaft sei überschuldet, ausgeschlagen. Etwa neun Monate später erklärte sie die Anfechtung der Ausschlagung und beantragte einen Erbschein als Alleinerbin. Sie gab dabei an, irrtümlich von einer Überschuldung des Nachlasses ausgegangen zu sein.  

Da ihre Mutter alkoholkrank war, wuchs die Tochter nicht bei ihr auf und hatte seit ihrem 11. Lebensjahr keinen Kontakt mehr. Die Kriminalbeamtin, die sie über den Tod der Mutter informierte, berichtete von der chaotischen und ungepflegten Wohnung im Bahnhofsviertel. Ohne die Wohnung selbst gesehen zu haben, vermutete die Tochter, dass ihre Mutter „abgerutscht“ sei und in schwierigen sozialen Verhältnissen gelebt habe. Erst später erfuhr sie durch den Nachlasspfleger, dass ihre Mutter tatsächlich über ein erhebliches Konto-Guthaben verfügte. Das Nachlassgericht hatte den Erbscheinsantrag der Tochter abgelehnt und die Anfechtung der Ausschlagung als unwirksam betrachtet.

Die dagegen eingelegte Beschwerde war nun vor dem OLG Frankfurt. Der zuständige 21. Zivilsenat stellte nach der Anhörung der Tochter fest, dass die Anfechtung der Ausschlagung wirksam sei und sie damit die Erbschaft angenommen habe.

Eine Erbausschlagung kann grundsätzlich aufgrund eines Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses angefochten werden, wenn dieser Irrtum kausal für die Entscheidung zur Ausschlagung war, erklärt Rechtsanwalt István Cocron, B.A. Ein Irrtum liegt insbesondere dann vor, wenn die Vorstellung des Erben von der Wirklichkeit abweicht. Ein solcher Irrtum ist für die Ausschlagung entscheidend, wenn der Erbe naheliegende Erkenntnisquellen über die Nachlasszusammensetzung herangezogen und diese – fälschlicherweise – bewertet hat.  

Im Fall der Tochter lag zwar kein Irrtum über den Wert des Nachlasses vor, da der Wert als solcher keinen Anfechtungsgrund darstellt. Doch hat sich die Erbin hinsichtlich der genauen Zusammensetzung des Nachlasses, insbesondere der Konto-Guthaben, geirrt. Dieser Irrtum war auch ausschlaggebend für ihre Entscheidung das Erbe zunächst auszuschlagen. Auch wenn sie nicht alle naheliegenden Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, um sich genauer zu informieren, war der Senat nach ihrer Anhörung davon überzeugt, dass die Entscheidung auf einer Fehlvorstellung und nicht bloß auf Vermutungen beruhte. Es macht daher auch bei zunächst ausgeschlagenen Erbschaften Sinn, die Möglichkeiten einer Anfechtung zu prüfen.

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